Das Josef Matthias Hauer-Studio
Eine Pflegestätte echter Geistigkeit
Wer einmal mit offenen Sinnen das „ Josef-Matthias Hauer-Studio in Wien unter Leitung von Prof.Victor Sokolowski besucht hat, wird zur Überzeugung gekommen sein, dass hier in aller Stille eine Arbeit geleistet wird, welche für die Zukunft unsere Musiklebens wohl von entscheidenderer Bedeutung ist als die obligaten Tagessensationen im Publicityrummel einer modernen Kulturindustrie. Fast möchte man die Worte des Evangelisten Lukas in diesem Zusammenhang interpretiert wissen: denn Das Neue „ kommt nicht mit Aufsehen-Erregen“.
Wir dürfen heute den Versuch Prof.Sokolowski, das geistige Vermächtnis von Josef Matthias Hauer vor allem der Jugend näherzubringen, als vollauf gelungen bezeichnen. Auf der Basis des „ Zwölftonspieles“ ( wie es von Josef Matthias Hauer entdeck und entwickelt wurde), werden hier junge Menschen zu einer wirklich universellen Lebenserfassung geführt – ein Anliegen, das heute mit erhöhter Dringlichkeit zum Gebot der Stunde geworden ist!
Prof. Victor Sokolowski hat zu diesem Unternehmen ein reichhaltiges Lehrmaterial gesammelt und aufgebaut: unzählige Manuskripte, in Form von Autographen und Kopien, der Werke Josef Matthias Hauers geben uns in Einblick in die Werkstatt des Meisters. Anschauliche Wandtafeln und Diagramme vermitteln die Lehre von den Tropen, der gleichschwebenden Temperatur, dem melischen Entwurf u.dgl.. Interessante Studien über die Beziehung von Ton, Zahl und Farbe ergänzen das reichhaltige Bild. Für den Unterricht stehen diverse Instrumente, ein Tonbandgerät, zwei Schultafeln mit der Zwölftonlineatur sowie ein eigenes Notenpapier für die Zwölftonschrift zur Verfügung. Eine ausgewählte Literatur erschließt dem Studierenden die wesentlichen Querverbindungen, welche von der Musik zu den angrenzenden Disziplinen verlaufen.
Das Studium des „ Zwölftonspieles“ stellt in seiner Art eine „ Spirituelle Übung“ auf exakter, methodischer Grundlage dar. Musik und Mathematik stehen in ursächlichem Zusammenhang. Die Intensive Wechselwirkung von Ton und Zahl bedeutet nichts weniger als die vollkommene Integration objektiven Erkennens und subjektiven Erlebens im Menschen. Der Spielvorgang selbst wird durch die Weise der Gründung und Entfaltung“ bestimmt. Entfaltung ist der Aktuierungsprozeß der Ausgliederung eines gegründeten Ganzen in der Zeit. In der Tat stellt jedes ausgeformte Zwölftonspiel gleichsam den kristallisierten Fluss der Zeit dar, wobei die drei Grundkomponenten der Musik: Melos, Harmonie und Rhythmus jeweils als verschiedene Entfaltungsstufen ein und desselben Phänomens erscheinen. Es handelt sich hier im strengsten Sinne des Wortes um „ Absolute Musik“, deren Struktur und Gesetzlichkeit vollkommen in sich selbst ruht. Die absolute Musik als geistige Realität ist höchste Abstraktion und reinste Sinnlichkeit zugleich – sie affiziert die Seele im tiefsten Grund, ohne selbst eine Bedeutung ( im Sinne einer begrifflich-assoziativen Verkettung) anzunehmen, ist jedoch von ihren Elementen her mathematisch fassbar. Diese Eigenschaften stempeln sie zur Universalsprache schlechthin, welche uns befähigt, den „ metaphysischen“ Sinn des Lebens in aller Natur nachzuzeichnen und nachzuempfinden.
Wir können daher das „ Zwölftonpiel “ als die uns umfassendste Offenbarung der kosmischen Ordnung bezeichnen, die in ihrer Konsequenz zur Erkenntnis eines neuen integralen Welt-und Menschenbildes führt. Wir setzen damit der These der Weltanschauung die These der „ Weltanhörung“ zur Seite, indem wir das menschliche Ohr zum kritischen Organ unserer Geistestätigkeit aktivieren. Auf diese Weise ist es uns möglich, die Welt der Erscheinungen in Form einer „qualitativen Gleichung“ aufeinander abzustimmen. Die einfache Methode der Tonkombinatorik und der geordneten Meditation über sie wird zur „ Mystischen Logik“, die der inneren Harmonie des Denkens und Empfindens in seiner auf Gott gerichteten Bewegung entspricht.
Nach dem heutigen Stand der Dinge kann die Praktik des „Zwölftonspieles“ jedem innerlich aufgeschlossenen Menschen produktiv und rezeptiv nähergebracht werden. Vielleicht wird es einmal als eine der schönsten Spiele des menschlichen Geiste in den Lehrplan der Gymnasien und Hochschulen aufgenommen werden – was für den Kenner der Sache durchaus keine Utopie, eher eine Notwendigkeit ist, denn nach San Juan de la Cruz ( dem spanischen Mystiker) heißt Gott: die „ Substanz der Dinge zuerst akustisch vernehmen, um sie dann richtig zu sehen“.
Text: Oswald Pöstinger